Halbjahrestreffen im Projekt JenErgieReal: "Sie werden als vorbildlich wahrgenommen"
19.12.2024, 10:02:17 | Stadtwerke Jena Gruppe | Aktuelles | Energie- & Wärmewende | jenergie
Es wird konkreter in unserem Reallabor der Energiewende JenErgieReal. Zum Halbjahrestreffen am Dienstag gaben die Projektpartner Einblicke in den aktuellen Stand ihrer Arbeit und Ausblicke auf die nächsten Vorhaben. Im kommenden Jahr startet die Phase der konkreten Umsetzung und sind erste Investitionen geplant: Stromspeicher und Ladestationen, intelligente Hausinstallationen, Elektrofahrräder und ein Showroom sind die Schwerpunkte.
Fast zwei Jahre intensiver Projektarbeit liegen hinter den acht Verbundpartnern in unserem Projekt JenErgieReal. Seit 2022 arbeitet das interdisziplinäre Team aus Energieversorger und Netzbetreiber, Kommune, Industrie, Wohnungswirtschaft, Wissenschaft und Sozialverband in einem Reallabor der Energiewende zusammen. Gemeinsam wollen sie vor Ort in Jena Wege erproben, wie der durch die gleichzeitige Energie-, Wärme- und Verkehrswende steigende „Stromhunger“ ohne massiven Netzausbau gestillt werden kann. Dafür soll ein virtuelles Kraftwerk entstehen (mehr dazu HIER), das Erzeuger, Verbraucher und Speicher von Strom und Wärme digital verknüpft und in Echtzeit steuerbar macht. Darüber hinaus sollen die Auswirkungen der Energiewende auf die Menschen untersucht und Kriterien herausgearbeitet werden, wie bei den Menschen (mindestens) Akzeptanz, besser noch Unterstützung für diesen wichtigen Transformationsprozess erreicht werden kann.
Abbruchmeilenstein steht bevor - ist aber eigentlich kein Thema für die Verbundpartner
Nach Machbarkeitsanalyse und Konzeptphase steuert das Projekt nun auf den nächsten wichtigen Termin zu: Ende Februar 2025 steht der sogenannte "Abbruchmeilenstein" im Projektplan, der allen Teilnehmenden noch einmal die Möglichkeit geben würde, aus dem Reallabor "auszusteigen". Doch davon war am Dienstag beim turnusmäßigen Halbjahrestreffen keine Rede - ganz im Gegenteil. Die Projektpartner von Stadtwerke Energie Jena-Pößneck, Stadtwerke Jena Netze, jenawohnen, Stadt Jena, Westsächsischer Hochschule Zwickau, Ernst-Abbe-Hochschule Jena, AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen und Brunata-Metrona zeigten ihre Zwischenergebnisse und stellten konkrete Pläne für die nun bevorstehende Umsetzungsphase vor.
"Wir betreuen insgesamt 19 Reallabore", sagte Dr. Andreas Koch vom Projektträger Jülich in einer kurzen Begrüßung. "Und Ihres ist eines der lebendigsten, das bereits jetzt interessante Ergebnisse zeigt." Erst im Sommer waren Vertreter von JenErgieReal beim Bundeswirtschaftsministerium in Berlin zu Gast, um bei den zuständigen Dezernaten die Konzepte zur Energieeinsparung durch intelligente Heizungssteuerung vorzustellen. Es wurden aber auch rechtliche, technische und organisatorische Hemmnisse angesprochen, die eine effektive Wärmewende im Wohngebäudesektor derzeit noch ausbremsen. Ein wichtiger Austausch, der u.a. auf die Vorstellung von JenErgieReal beim Digitalgipfel der Bundesregierung Ende 2023 zurückging. "Ich kann Ihnen sagen: Ihre Arbeit wird als vorbildlich wahrgenommen", so Dr. Andreas Koch.
Geschäftsführer André Sack: "Schlüsselprojekt für die Stadtwerke Jena Gruppe"
Dass es tatsächlich "voran geht", wurde auch zu diesem Halbjahrestreffen deutlich. Vorgestellt wurden u.a. konkrete Zwischenergebnisse, aber auch wichtige Erkenntnisse zu regulatorischen Hemmnissen oder zu inzwischen veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die konkrete Ausprägung des geplanten virtuellen Kraftwerks verändern werden. Am grundsätzlichen Ziel allerdings halten alle Beteiligten fest. "JenErgieReal ist ein Schlüsselprojekt in der gesamten Stadtwerke Jena Gruppe", betonte Stadtwerke Energie-Geschäftsführer André Sack in einem kurzen Grußwort. "Wir setzen große Hoffnungen in die Lösungen, die wir hier für die enormen Herausforderungen der Energie- und Wärmewende entwickeln. Denn uns ist doch allen klar - nur dickere Kabel allein können nicht der Weg in die all electric society sein." Vielmehr seien intelligente Lösungen gefragt, die innerhalb dieses inhaltlich breit aufgestellten Projektes gefunden werden könnten - und auch müssten. "Für viele Menschen erscheinen die Folgen des Klimawandels und die Veränderungen, die die Energie- und Wärmewende mit sich bringen wird, noch weit weg", so Sack weiter. "Aber für uns sind sie bereits jetzt eine konkrete Aufgabe, die Antworten braucht. Und daran arbeiten wir."
Ergebnisse und Pläne aus den Teilprojekten - eine Auswahl
Acht Teilprojekte mit noch einmal so vielen Arbeitspaketen bearbeiten die Verbundpartner in unterschiedlichen Gruppenzusammensetzungen. Hier eine Auswahl der am Dienstag vorgestellten Ergebnisse und Vorhaben:
- Repräsentative Umfrage: Menschen in Jena sind über den Klimawandel besorgt, bleiben aber passiv.
Die Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) hat in einer repräsentativen Umfrage 10.000 Jenaerinnen und Jenaer zu ihren Einstellungen zum Klimawandel sowie zur Energie- und Wärmewende befragt. Zentrales Ergebnis: Mehr als 66 Prozent der Menschen machen sich sehr große oder große Sorgen über den Klimawandel, berichtet Johanna Siebeking von der EAH. Die wenigsten aber informieren sich zu konkreten Maßnahmen oder verändern, etwa durch die Nutzung einer intelligenten Heizungssteuerung oder die "eigene" Erzeugung erneuerbarer Energien, ihr persönliches Verhalten. Die Skepsis neuen Technologien gegenüber ist hoch und auch die Überzeugung, dass der Strom- oder Wärmelieferant für die Dekarbonisierung zuständig sei, nicht der Verbraucher. Smart Home-Anwendungen werden nur selten als Möglichkeit wahrgenommen, Energie und damit auch Kosten zu sparen. - Modellquartier am Salvador-Allende-Platz: Zur iHAST kommt Wärmegewinnung aus Abwasser
Die Sanierungsarbeiten am von jenawohnen in das Projekt eingebrachten Modellquartier am Salvador-Allende-Platz gehen gut voran, berichtete Philipp Roth vom technischen Management von jenawohnen. In den Hauseingängen 9 und 11 ist in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Energie bereits eine intelligente Hausanschlussstation (iHAST) für die Fernwärme verbaut, die im Sinne der Sektorenkopplung (Strom/Wärme) gleich mehrere Funktionalitäten mitbringt: Sie reguliert den Fernwärmebezug aus dem Netz auf Basis der von Brunata Metrona direkt in den Wohnungen gemessenen Wärmebedarfe und lässt ggf. das Heizwasser so lange im hauseigenen Heizkreislauf zirkulieren, bis es vollständig ausgekühlt ist. Ergänzt wird die Fernwärme für die Warmwasseraufbereitung um eine strombetriebene Thermobox (eine Art Durchlauferhitzer) und für die Kaltwasser-Kühlung um eine strombetriebene Wärmepumpe. Eine intelligente Steuerung sorgt dafür, dass jeweils der effizienteste Energieträger zum Einsatz kommt. Bei den folgenden Bauabschnitten am Salvador-Allende-Platz soll die Hausinstallation zudem um eine weitere Wärmepumpe ergänzt werden, die die Abwärme aus dem Abwasser der Mieter zur Warmwasserbereitung nutzt. Außerdem geplant sind PV-Anlagen an den Balkonen. - Mikromobilität für Lobeda-Ost: Von Pflegedienst mit Elektrorollern bis E-Fahrradverleih im Quartier
Die AWO Mitte-West-Thüringen kümmert sich im Reallabor um die Einbindung der (elektrischen) Mikromobilität ins virtuelle Kraftwerk. Dafür geht der Sozialverband inzwischen erste konkrete Schritte, wie Innovationsmanager Robert Friedrich ankündigte. Am AWO Wohnpark Lebenszeit in der Rudolf-Breitscheid-Straße soll für die betagten Bewohner:innen ein E-Scooter-Verleih angeboten werden. Die dafür nötige Ladeinfrastruktur soll (zu Vergleichszwecken) einerseits über den Hausanschluss und andererseits über die Straßenbeleuchtung mit Strom versorgt und ins virtuelle Kraftwerk integriert werden. Ebenfalls elektrisch mobil soll künftig der ambulante Pflegedienst der AWO in Lobeda-Ost sein. Zwei E-Mopeds sollen dafür angeschafft werden. Für die ebenfalls nötige Ladeinfrastruktur und einen geschützten Stellplatz sorgt jenawohnen in ihrem Objekt in der Ebereschenstraße. Außerdem geplant ist eine öffentliche Verleihstation für E-Bikes und Lastenfahrräder am AWO-Zentrum in der Kastanienstraße. Über ein digitales, bedienerfreundliches Verleihsystem soll die Station auch bisher weniger affine Nutzergruppen für die Elektromobilität gewinnen. Ein Solarcarport soll eine sichere Einhausung bieten, die Ladeinfrastruktur mit Energie versorgen und ins virtuelle Kraftwerk integriert werden. - Netzüberlastung in der Niederspannung: Neben Speichern können auch steuerbare Trafos eine Lösung sein
Die Energiewende findet v.a. auf der Niederspannungsebene statt, wo der private Stromverbrauch (Haushalt, Heizen, Verkehr) und die Einspeisung (Solarstrom von Dach- und Balkon-PV-Anlagen) zu massiven Veränderungen in der Netznutzung führen werden. Erstmals valide Daten dazu liegen den Stadtwerken Jena Netze nun dank einer gemeinsam mit der Westsächsischen Hochschule durchgeführten Messkampagne vor, berichtete Tobias Nachtwey, Bereichsleiter Strom/Wärme. Gemessen wurde über ein ganzes Jahr die aktuelle Nutzung und Auslastung von zehn im Stadtgebiet verteilten Trafostationen. Ergänzt um Wettermodelle, Prognosen zur Quartiersentwicklung, zum PV-Zubau und zum Hochlauf der Elektromobilität entstanden Simulationen zur künftigen Belastung dieser Ortsnetze. Welche technischen Möglichkeiten es gibt, drohende Netzengpässe zu beseitigen, wurde schließlich technisch, wirtschaftlich und regulatorisch bewertet. Wichtigste Erkenntnisse: Fast jedes Ortsnetz ist "anders" und erfordert eine individuelle Betrachtung. Intelligente Betriebsteile, wie Längsregler oder Regelbare Ortsnetztrafos (rONT), sind die günstigsten Lösungen, können aber nicht alle Probleme lösen. Netzdienliche Speicher zu errichten, kann in vielen Bereichen helfen, ist aber die teuerste Lösung. Vor allem aber - und das wird zu Umschichtungen im Projektbudget und zu Veränderungen am virtuellen Kraftwerk führen - ist den Stadtwerken Jena Netze der Betrieb von Speichern aus Gründen des Unbundling grundsätzlich verboten. Wie damit umgegangen werden soll, ist nun Thema von Gesprächen mit dem Projektträger Jülich. - Mikrokontrakte im Virtuellen Kraftwerk: Zu regulatorischen Hemmnissen kommen nun noch Fehlanreize
An juristische sowie marktbedingte Grenzen stießen die Stadtwerke Jena Netze auch beim Themenfeld Mikrokontrakte im virtuellen Kraftwerk. Die Idee war, dass Erzeuger und Verbraucher von Strom und Wärme direkt miteinander kommunizieren und mit ihren Energiemengen und Verbräuchen selbstständig "handeln" können. Wie ein solcher Energiemarkt aussehen könnte, hat Christian Schöffl aus dem Bereich Energiewirtschaftliche Dienstleistungen bei den Stadtwerken Energie anhand der Echtdaten von 132 Haushalten einmal durchgerechnet. Technisch wären die Mikrokontrakte mittels Blockchain-Technologie gut umsetzbar, rechtlich gibt es weiterhin eine ganze Reihe energiewirtschaftliche Hürden. Nun verändert die Einführung dynamischer Stromtarife, die im kommenden Jahr verbindlich wird und den Verbrauchern einen Strombezug direkt zu Spotmarkt-Preisen ermöglicht, den Anreiz, sich an einem solchen lokalen Energiemarkt zu beteiligen. - Sektorenkopplung Wärme - Strom - Verkehr: Verschiedene Projekte in Vorbereitung
Verschiedene Projekte bereiten die Stadtwerke Energie vor, wie die Energiesektoren Wärme - Strom - Verkehr künftig besser zusammenwirken können. So soll die Energieeffizienz erhöht, aber auch die (Preis-)Chancen des volatilen Energiemärkte genutzt werden. So berichtete Marcus Wöckel aus dem Bereich Energiedienstleistungen und Erzeugung von Plänen der Stadtwerke Energie, die Fernwärmestation in Lobeda-Ost um eine Power to Heat-Anlage (Strom zu Wärme) zu ergänzen. Über das Stadtgebiet verteilt soll Ladeinfrastruktur für Elektroautos in verschiedener Ausprägung entstehen - vom Solarcarport bis zum Laternenladen, mal ergänzt um Pufferspeicher, mal auf Basis von Wechsel- oder Gleichstrom - und ins virtuelle Kraftwerk eingebunden werden. Gemeinsam mit jenawohnen und Brunata Metrona wird zudem am Konzept für die iHAST am Salvador-Allende-Platz weitergearbeitet und die Anlage um weitere Komponenten zur Sektorenkopplung, aber auch zur intelligenten Netzsteuerung auf Basis der aktuellen Verbrauchsdaten ergänzt. - Die Bürger mitnehmen: StadtLab wird zum zentralen Showroom fürs Reallabor
Gestalt nehmen inzwischen auch die Pläne für einen zentralen, öffentlichen Showroom für das Reallabor der Energiewende JenErgieReal an, berichtete Irene Nitz aus dem Dezernat Stadtentwicklung bei der Stadt Jena. Vorgesehen ist, an den verschiedenen Standorten der virtuellen Kraftwerksteile mit Infotafeln und digitalen Stelen auf das Projekt aufmerksam zu machen. Ein begehbarer Stadtplan am Engelplatz soll ebenfalls einen Überblick über die verschiedene Projektteile und Standorte bieten. Alle diese Informationen zusammenfassen und um weitere Kontexte ergänzen soll eine Dauerausstellung im jetzigen StadtLab am Nonnenplan unweit vom Holzmarkt. Mit der Ausstellungsgestaltung beauftragt wurde eine Berliner Agentur. Die Eröffnung ist für Anfang 2026 geplant.
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