JenErgieReal: Mit einem virtuellen Kraftwerk die Energiewende in Städten vorantreiben
12.12.2023, 11:21:41 | Stadtwerke Jena Gruppe | Aktuelles | Energie- & Wärmewende | Nachhaltigkeit
Die gleichzeitige Energie-, Wärme-, und Verkehrswende lässt den Strombedarf in Städten stark steigen. Aktuell erwarten die Stadtwerke Jena Netze durch Wärmepumpe, E-Mobilität & Co eine Verdreifachung des bisherigen Leistungsbedarfes in ihrem Stromnetz. Diesen „Stromhunger“ ohne massiven Netzausbau zu stillen, ist das Ziel von JenErgieReal. Kern ist der Aufbau eines virtuellen Kraftwerks, das Erzeuger, Verbraucher und Speicher von Strom und Wärme verknüpft und in Echtzeit steuerbar macht. So soll mittels Digitalisierung die Energiewende in Städten bedarfsgerecht und bezahlbar werden.
JenErgieReal war 2019 eines von 20 Gewinnerprojekten im Ideenwettbewerb Reallabore der Energiewende des damaligen Bundeswirtschaftsministeriums. Im November 2022 konnte die Projektarbeit offiziell starten. Für das auf fünf Jahre angelegte Projekt laufen aktuell die Machbarkeitsanalysen und die Konzeption von Prototypen. 2025 könnte die konkrete Umsetzung vor Ort in Jena beginnen. Bis 2027 beläuft sich das Projektvolumen für Forschung und Investitionen auf mehr als 41 Mio. Euro. 20,4 Mio. Euro davon stammen aus Fördermitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Als Reallabor der Energiewende soll JenErgieReal die nachhaltige Versorgung mit thermischer und elektrischer Energie vor Ort in Jena praktisch erproben. Geplant sind Investitionen von über 17 Mio. Euro, u.a. für den Bau von Großspeichern für Strom und Wärme sowie Erzeugungsanlagen für grüne Energie.
Interdisziplinärer und sektorenübergreifender Ansatz
JenErgieReal ist ein breit angelegtes Verbundprojekt. Es vereint Energieversorger und Netzbetreiber, Kommune, Industrie, Wohnungswirtschaft, Wissenschaft und einen Sozialverband. Konkret sind die Stadtwerke Energie Jena-Pößneck, die Stadtwerke Jena Netze und Thüringens größter Vermieter jenawohnen dabei, außerdem die Stadt Jena, die Westsächsische Hochschule Zwickau, die Ernst-Abbe-Hochschule Jena, der AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen und der Messgerätehersteller Brunata-Metrona. Neben der Umsetzung des virtuellen Kraftwerks sowie der Errichtung von thermischen und elektrischen Großspeichern gibt es weitere Projektschwerpunkte. Dies sind v.a. die sozialwissenschaftliche Forschung zur Akzeptanz von Energiewende und Digitalisierung, die Ableitung von städteplanerischen Erkenntnissen und das regulatorische Lernen, um Verbesserungspotenziale im aktuellen Energierecht zu identifizieren.
Innovation: Virtuelles Kraftwerk reagiert in Echtzeit auf Netzsituation
JenErgieReal setzt auf eine konsequente Sektorenkopplung. Es betrachtet übergreifend die Haupttreiber des Energieverbrauchs in Städten – Verkehr, Gewerbe und Wohnen – und führt auf einer digitalen Infrastruktur die verschiedenen Systeme der Erzeugung, der Speicherung und des Verbrauchs von Strom und Wärme zusammen. Erstmals wird auch die Elektromobilität als Bindeglied zwischen den Sektoren integriert. Erstmals wird auch ein größeres Augenmerk auf den privaten Strom- und Wärmeverbrauch gelegt. Hierfür ist eine digitale Steuerung von Verbrauchsanlagen bis auf Raumebene innerhalb von Wohnungen und Gewerbeeinheiten geplant.
„Schwarm-Intelligenz“ statt zentrale IT-Architektur
Auch bei der Konzeption der digitalen Infrastruktur für das virtuelle Kraftwerk hebt sich JenErgieReal von bisherigen Modellen ab. Statt einer zentralen IT-Architektur ist ein dezentrales, automatisiertes „Schwarm-System“ geplant, das vom Datenaustausch zwischen den Elementen des virtuellen Kraftwerks „lebt“. Dafür sollen innerhalb des Projektes neue günstige und genaue Messtechniken entwickelt werden, die diese Daten in Echtzeit liefern – und damit den bisher in der Energiewirtschaft üblichen 15-Minuten-Takt aufbrechen. Diese Echtzeitdaten fließen in einen „digitalen Zwilling“ vom Jenaer Stromnetz ein, für den verschiedene Netzszenarien entwickelt werden. Gemeinsam bilden sie eine leistungsfähige virtuelle Kraftwerksstruktur, in der jede Anlage netzdienlich gesteuert werden kann, um das bestehende Stromnetz optimal auszulasten und einen Netzausbau weitgehend überflüssig zu machen.
So können je nach Lastsituation („Angebot und Nachfrage“) im Stromnetz beispielsweise:
- auf Quartiersebene bestimmte private Verbraucher (z.B. alle Kühlschränke) kurzzeitig „abgeschaltet“ werden
- elektrische Großspeicher „gefüllt“ oder „entleert“ werden
- mit Power-to-Heat aus Strom Wärme erzeugt und thermische Energie gespeichert werden
- durch Schnellladevorgänge überschüssiger Strom „aus dem Netz gezogen“ werden
- Erzeugungsanlagen „zugeschaltet“ oder Verbraucher „abgeschaltet“ werden
- Akkus von Elektroautos als Zwischenspeicher genutzt werden
Zur konsequenten Sektorenkopplung soll zudem die Abwärme von Schnellladevorgängen für Elektroautos in Nahwärmenetzen nutzbar gemacht werden. Auch ist der Bau weiterer regenerativer Erzeugungsanlagen für Strom und Wärme geplant. Nicht zuletzt sollen verschiedene elektrische und thermische Großspeicheranlagen im Stadtgebiet von Jena entstehen. Insgesamt sind Investitionen von rund 17 Millionen Euro vor Ort in Jena geplant.
Neu: Gleichstrom-Messtechnik, Echtzeit-Energiedaten, Blockchain-Abrechnung
Zur Steuerung des virtuellen Kraftwerksverbundes entwickeln die Forschenden eine dezentrale Hardware- und Software-Architektur und bedienen sich dafür Smart City-Ansätzen und Methodiken künstlicher Intelligenz. Die Datenerhebung, Auswertung und Ableitung von Steuerbefehlen sollen in Echtzeit erfolgen. Auch wird im Projekt eine eichgerechte Gleichstrom-Messtechnik entwickelt, die für eine flexible Steuerung und Abrechnung von Lade- und Speichervorgängen nötig ist. Auch werden so automatisierte und individuelle Mikrokontrakten zwischen den verschiedenen Akteuren des virtuellen Kraftwerks möglich. Dies soll monetäre Anreize schaffen, dass die Menschen im Quartier eigene Erzeugungs-, Verbrauchs- oder Speicheranlagen für das virtuelle Kraftwerk zur Verfügung stellen (z.B. Akkus von Elektroautos, Verbrauchsgeräte an zentral schaltbaren Steckdosen). Auf Basis von Blockchain-Technologien könnte so ein lokaler Energiemarkt entstehen, durch den die Menschen vor Ort ganz konkret von der Energiewende profitieren.
An Konzeptionsphase schließt sich praktische Umsetzung vor Ort an
Noch stehen die Forschenden allerdings ganz am Anfang ihrer auf fünf Jahre angelegten Arbeit. Nach dem Projektstart im November 2022 läuft aktuell eine etwa zweijährige Phase zunächst theoretischer Betrachtungen. Daran schließt sich ab 2025 die praktische Phase an, in der die entwickelten Konzepte vor Ort in Jena erprobt werden. Als langfristiges Ziel sollen mit den Erkenntnissen aus JenErgieReal die technische Infrastruktur sowie das virtuelle Kraftwerk auf die gesamte Stadt Jena skaliert werden.
JenErgieReal will zeigen, dass durch den Aufbau eines virtuellen Kraftwerks die vorhandene Energie effizienter genutzt und das bestehende Stromnetz optimal ausgelastet werden kann. Somit kann angesichts volatiler Einspeisungen aus erneuerbarer Energieerzeugung das Stromnetz stabilisiert, Lastspitzen ausgeglichen, Verbräuche zeitlich gesteuert und so die Rückspeisung „ungenutzten“ grünen Stroms reduziert werden. Im Ergebnis steigt der reale Anteil von Erneuerbaren Energien im Stromnetz bei gleichbleibend hoher Versorgungssicherheit für alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Gleichzeitig sinkt die Notwendigkeit für einen teuren Stromnetzausbau. Mit seinem ganzheitlichen und interdisziplinären Ansatz versteht sich JenErgieReal als Blaupause für eine wirtschaftliche und sozial akzeptierte klimaneutrale Energieversorgung in Städten.